ORGANIZE!

Vernetzung für Solidarität und kollektive Selbstermächtigung

Redebeitrag zur Kundgebung des Aktionsbündnis Ost bei Zufällig Osten 2018

Das Problem des Organisierung – Verhältnis von Kommerzialität und Selbstorganisation

Wir möchten unseren Redebeitrag mit drei Erzählungen aus dem Viertel beginnen:

1. Ein Haus in der Mariannenstraße, in welchem das Erdgeschoss von einem unkommerziellen
Ladenprojekt gemietet wird, soll verkauft werden. Die Hausgemeinschaft bekommt die Möglichkeit
das Haus zu kaufen, muss jedoch das nötige Geld kurzfristig aufbringen und schreibt hierfür einen
öffentlichen Aufruf. Aktueller Stand: Scheinbar läuft der Aufruf ins Leere, da keine Gruppe die
finanziellen Ressourcen, die organisatorischen Kapazitäten oder das Interesse hat das Haus zu
kaufen.

2. Ein Ladenprojekt auf der Eisenbahnstraße, welches einen Raum für Vorträge, Workshops, Plena
und beliebte Küfas bereitstellt, steht trotz hoher Anzahl von Nutzer*innen & Konsument*innen vor
dem Aus. Die Aktiven überlegen den Laden zu kündigen, da die Last der Ladenorganisation auf zu
wenige Schultern verteilt ist.

3. Ein Ladenprojekt auf der Eisenbahnstraße wird von immer weniger Menschen organisiert bis
letztendlich alle der „alten“ Ladenorganisationsgruppe das Plenum verlassen und einer neuen
Organisationsgruppe den Laden überlassen. Dieser Übergang löst bei den Vermietern eine
Unklarheit bezüglich der Ladensituation aus. Zudem kommt es immer wieder zu Finanz- und
Lärmproblemen, sodass das Verhältnis zu den Vermietern getrübt ist. Die Fronten verhärten sich
letztendlich in den Mietvertragsverhandlungen, welche aktuell abgebrochen wurden.

Zu all diesen Geschichten, so aktuell sie auch sein mögen, gibt es unterschiedliche Weisen sie zu
erzählen und zu interpretieren. Aus diesem Grund ist unser Text keine Kampfrede gegen das
Goldhorn. Wir wollen einen anderen Blickwinkel einnehmen: Das Verhältnis von Kommerzialität
und Unkommerzialität, wirtschaftszentrierter Organisation und kollektiver Selbstorganisation und
die Frage der Organisierung. Wann sterben selbstorganisierte Projekte aus oder warum überleben
sie? Und vielleicht auch: Wer trägt die Schuld?

Eine weit akzeptierte Meinung im Aktionsbündnis ist die Betrachtung der unkommerziellen
Projektläden als Commons, also als Gemeingüter, da diese von allen Menschen im Viertel genutzt
und organisiert werden können. Aus diesem Verständnis speist sich der Anspruch des
Aktionsbündnis diese Kundgebung unabhängig von den Ladenprojekten durchführen zu können
und diese politische Botschaft zu artikulieren. Wir als ORGANIZE! Leipzig zweifeln diese
Betrachtung der Läden als Commons an. Aktuell stellt dies nicht die Realität des
Organisierungsprozesses und der Nutzungskonzepte dar, sondern bleibt lediglich eine Utopie. Als
eine stadtteilbezogene Gruppe sind wir in verschiedenen Ladenprojekte im Viertel aktiv und können
sagen: Das Problem sind aktuell nicht nur Stress mit den Vermieter*innen. Das Problem liegt auch
in der Betrachtung der Projektläden als reine Konsumorte. Denn es gibt mehr reine
Konsument*innen als aktiv Engagierte, die Verantwortung übernehmen. Viele Projekte werden
gerade von wenigen Menschen organisiert, die an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Einige
Ladenprojekte überlegen, ob sie deswegen ihren Raum aufgeben müssen.

Natürlich sind diese Probleme nicht isoliert von Mietvertragsproblemen zu sehen und beeinflussen
sich gegenseitig. Die Hürde eines verbindlichen Engagement ist größer, wenn die Situation über die
Zukunft des Ladens unklar ist. Die schlechte Kommunikation der Betreiber des Goldhorns über die
Zukunft der Ladenprojekten 109 und ConHanHop ist hierfür bezeichnend. Trotzdem müssen wir
hier transparent bleiben und eine Illusion dieser selbstorganisierten Räume platzen lassen:
Sie organisierten sich nicht von selbst!
Sie werden von vielen Menschen selbst in einem
gemeinsamen Prozess organisiert und das kostet aktuell vor allem die Zeit & Nerven der
überlasteten Organisationsteams. Wenn du einige dieser selbstorganisierten Räume nutzt, weil du
dort lernst, etwas isst, etwas trinkst, einen Vortrag oder einen musikalischen Abend genießt, dann
gebe deine Verantwortung nicht mit deiner Spende ab. Frage dich, ob du nicht selbst mal etwas für
den Laden tun kannst. Spreche die Menschen im Laden an, schreib eine Mail, trifft dich mit ihnen
und übernehme Verantwortung für den Laden! DAS wäre ein wahres Verständnis der Läden als
Commons, also Gemeingüter. Die Reprodukionsarbeit, d.h. Putzen, Buchhaltung und jegliche
Organisationsaufgaben, gemeinsam zu tragen und die Räume offen für alle zu gestalten.

Natürlich ist es dann angenehmer in eine kommerzielle Kneipe wie das Goldhorn zu gehen. Das
Kloputzen wird erledigt, die Räume sind schön gestaltet, die Barschicht besetzt, die Getränke sind
kühler. Doch diese Sachen würden auch in unkommerziellen Läden besser laufen, wenn es mehr
Engagierte geben würde. Zudem ist die Idee und das Nutzungskonzept der Läden die offene,
kreative Gestaltung der Projekträume durch die Nachbar*innenschaft. Sie bieten euch damit die
Möglichkeit einen Raum zu bespielen. Etwas umzusetzen, was ihr schon immer umsetzen wolltet,
etwas auszuprobieren, aktiv zu werden. Seht die Läden nicht nur als Orte der Freizeit, des Spaß und
des Hedonismus an, denn sie sind mehr als das! Mit Blick auf das Goldhorn sagen wir: Die
selbstorganisierten, unkommerziellen Projekte sind keine Kneipen! Sie sind Orte der
Zusammenkunft an denen die individuelle ökonomische Situation nicht zum Ausschluss einzelner
Personen aus sozialen Räumen führt. Durch die Organisation auf Spendenbasis wollen die Projekte
einen sozialen Raum über die trennenden Grenzen finanzieller Möglichkeiten schaffen. Egal ob die
jeweilige Situation einen Spendenbeitrag von 3 Euro oder 50 Cent pro Getränk hergibt. Die
selbstorganisierten Projekte sind auch keine Dienstleister*innen! Sie sind Orte des gemeinsamen
Schaffens, der Kreativität, der Solidarität und der gegenseitigen Verantwortung. Gerade heute an
Zufällig Osten ist besonders deutlich zu sehen wie wertvoll, vielfältig und eindrucksvoll diese
selbstorganisierte Stadtteilkultur für den Zusammenhalt im Viertel ist. Es ist enttäuschend, dass die
Betreiber des Goldhorns dies leider nicht zu verstehen scheinen! Durch ihren unfairen und
unsolidarischer Umgang in den Mietvertragsverhandlungen haben wir den Eindruck, dass die
Betreiber des Goldhorns die Verdrängung von politischer und künstlerischer Stadtteilkultur in Kauf
nehmen, um den eignen Umsatz in ihrer Kneipe zu steigern.

Zwar stehen wir hier nun vor dem Goldhorn und dies ist der Auslöser dieser Kundgebung. Aber wir
stehen heute im Rahmen des Stadtteilfestes Zufällig Ostens auch vor der Kulturapotheke und vor
allem auch direkt an der Eisenbahnstraße mit ihrer wachsenden Anzahl an kommerziellen Läden.
Diese erhöhen durch ihre bloße Anwesenheit den Druck auf die selbstorganisierten und
unkommerziellen Projekte im Viertel. Diesen strukturellen Problemen (Aufwertung,
Mietpreisentwicklung, Gentrifizierung) können wir nur durch kollektive Selbstorganisation
entgegentreten. Einerseits hier und heute auf der Straße, um die Bedeutung dieser Läden für uns zu
zeigen, andererseits aber auch im Alltag: in der Buchhaltung, an der Toilette, im Getränkelager, auf
dem Plenum der Läden! Dies gilt übrigens nicht nur für Läden, sondern beispielsweise auch für
Hausgemeinschaften.
Schließt euch zusammen!

Deswegen bleiben am Ende dieses Textes zwei wichtige Appelle: Der Erste an die Betreiber des
Goldhorns: Nehmt uns diese Räume nicht weg! Seid nicht gegen uns, sondern für uns!
Unkommerzielle Stadtteilkultur sollte nicht durch kommerzielle Kneipen ersetzt werden.
Unsereserachtens habt ihr als ehemaliger Kulturraum in der rechtlichen Grauzone mit eurer
Pionierfunktion für die Subkultur im Leipziger Osten, jetzt jedoch legalisierte und kommerzielle
Kneipe im Rahmen der Aufwertungs- und Gentrifizierungsprozessen eine besondere Verantwortung
gegenüber den solidarischen Strukturen im Kiez!

Der zweite Appell richtet sich an euch Kundgebungsteilnehmer*innen und politisch Interessierte
und Aktive im Viertel: Nehmt die Betrachtung der Projektläden als Commons ernst und seid ehrlich
mit euch. Beteiligt euch an der Organisierung und an dem Betrieb der Läden. Putzt die Klos,
veranstaltet Vorträge, Workshops, Diskussionsabende, macht die Buchhaltung, bleibt solidarisch in
eurem Spendenbeitrag. Das macht Spaß und dabei ist alles lernbar, die Läden sind offen dafür.
Schön, dass ihr da seid! Organisiert euch, bildet Läden, Hausgemeinschaften und Projekte!
Organize!

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